Urlaub zu Hause, Essen, Energie oder Mode aus der Umgebung liegen aktuell voll im Trend. Warum das nicht immer so war und wir dringend umdenken müssen, hat unsere Gastautorin Anna von Viertel \ Vor beleuchtet und spannende Anregungen für Deinen nachhaltigeren Alltag gesammelt.
Warum in die Ferne schweifen, das Gute liegt doch oft so nah. Ja! Auch, wenn wir diese Tatsache zuletzt mehr und mehr vergessen haben. Warum? Na, weil begehrlich wirkt, was unerreichbar scheint…
Egal ob’s dabei um die Teenie-Schwärmerei aus Schultagen geht, um Traumstrände am anderen Ende der Welt, um Südfrüchte, Superfoods, edle Fasern oder teure Steine – Grenzöffnungen und Billigflüge, Internet und Import ohne Kompromisse haben uns in den letzten Jahrzehnten immer wieder suggeriert: Was direkt vor der eigenen Haustür liegt, ist lahm, lahm, lahm – und the Grass war eh schon immer greener on the other side.
Soweit, so menschlich. Blöd nur, dass offenbar kein Mensch an die Konsequenzen gedacht hat. Und jetzt haben wir den Salat: Entweder umdenken oder untergehen! Was drastisch klingt ist leider wahr. Erderwärmung und endliche Ressourcen lassen uns keine Wahl: Brutal regional heißt der Trend, der uns allen den Allerwertesten retten kann. Wie? So! Hier kommen vier Bereiche, in denen wir alle sofort etwas ändern – und unsere Ökobilanz im Alltag verbessern können:
Lokal genießen
Ernährung ist ein großer Hebel, weil sie täglich gebraucht wird und auch weil sich Trends anhand unseres alltäglichen Einkaufsverhaltens besonders gut beobachten lassen. Gemäß dem guten alten Motto „Jeder Kassenbon ist ein Stimmzettel“ stimmen wir mit dem Griff zu saisonalen und lokalen Lebensmitteln für kürzere Transportwege und gegen Überzüchtetes aus Übersee. Das ist schon vielen Verbraucher*innen klar geworden: Laut dem aktuellen Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft legen mehr als drei Viertel der Konsument*innen (83 Prozent) Wert darauf, dass Lebensmittel aus ihrer Region stammen. Entsprechend erweiterten diverse Discounter das regionale Angebot.
Ein neues Hoch erreichte der Regional-Trend seit Corona. Die Folgen der Pandemie haben gezeigt, wie sehr wir von der globalen Warenproduktion abhängig sind. Nachbar Landwirt ist da krisensicher. Und plötzlich erkennen immer mehr Menschen: Erdbeeren im Winter müssen genauso wenig sein, wie Erdbeeren aus Spanien. Und der Griff zur Südfrucht könnte doch von super-selbstverständlich auch einfach mal wieder zur Besonderheit werden. Fleisch und Milchprodukte aus dem Hofladen oder einfach von der Metzgerei nebenan statt vom Discounter setzen ein Zeichen gegen unethische und klimaschädliche Massenproduktion.
Abgesehen vom Statement, verändert regional kochen den eigenen Ernährungsplan – zum Positiven. „Es ist die Möglichkeit, nur wirklich gute Lebensmittel zu verwenden“, fasst Sternekoch Micha Schäfer, Küchenchef im Berliner Restaurant „Nobelhart & Schmutzig“, im Interview mit hr-Inforadio zusammen. Denn wer wirklich nur essen möchte, was in der eigenen Umgebung entstanden ist, muss den dauer-importierenden Einzelhandel oft umgehen.
Was zunächst nach Einschränkung klingen mag, öffnet in Wahrheit oft den Blick über den eigenen Tellerrand. Plötzlich experimentieren wir wieder mit bunten Beeten oder Rüben, entdecken heimische Superfoods wie Brokkoli, Sanddorn, Löwenzahn und Leinsamen oder lernen uralte Methoden des Haltbarmachens wie Einwecken, Einlegen oder Fermentieren.
Klingt umständlich und teuer? Naja, vielleicht nur nach Umdenken. Und wem das Ganze erstmal zu privilegiert erscheint, der oder die fängt einfach klein an und achtet im Supermarkt auf das dick aufgedruckte Herkunftsland der Produkte.
Grüne Energie aus der Umgebung
Strom von nebenan? Unbedingt! Denn je regionaler unsere Energie, desto sauberer ist sie. Dass der Ökostrom zuhause direkt vom Windrad gegenüber kommt, ist trotzdem alles andere als selbstverständlich. Viele konventionelle Anbieter kaufen ihre „grünen“ Angebote aus erneuerbaren Quellen auf dem Balkan oder in Skandinavien ein. Kurz: Ökostrom ist nicht automatisch gleich regionaler Strom. Es macht also wirklich Sinn, bei der Auswahl von Anbieter und Tarif explizit auf lokal als Attribut zu achten.
„Nach den Kriterien des Umweltbundesamts darf Regionalstrom nur im Umkreis von 50 Kilometern um die Anlage in Deutschland verkauft werden“, sagt badenova Expertin Birgit Liegert im Gespräch mit Energievoll. „Durch die dezentrale Erzeugung und den regionalen Verbrauch entsteht keine zusätzliche CO2-Belastung und es werden keine zusätzlichen Stromtrassen benötigt. Außerdem wird die Abhängigkeit vom internationalen Energiemarkt reduziert und die regionale Wertschöpfung gefördert.“ Je weiter wir den Anteil an lokalen Erneuerbaren antreiben, desto mehr treiben wir also auch die Energiewende an. Do it!
Reisen auf kurzen Wegen
Unbeschwert die Welt erkunden… Ach, wie schön war die Zeit! Die Zeit der unglaublich günstigen Pauschalurlaube und Weekend-Trips nach Übersee: Vorbei! Denn Reisen, das sollte uns mittlerweile allen klar sein, hat einen immensen Impact auf unseren ökologischen Fußabdruck. Wenn wir weitermachen, wie gewohnt.
Es geht schließlich auch anders: Mit Nah- oder zumindest Mal Näher- statt Fernzielen zum Beispiel. „Den Löwenanteil bei der CO2-Bilanz eines Urlaubs macht die An- und Abreise aus“, sagt Tourismusexperte Wolfgang Günther im Interview mit der Deutschen Welle (dw). Kreuzfahrtschiff und Flugzeug sind auf diesem Gebiet die Super-Sünder. Auto und noch besser Bahn oder sogar Fahrrad können Alternativen sein – die uns den kleineren Radius gleich mit „aufzwingen“. For good! Schließlich haben die meisten von uns die Schönheit ihrer Heimat- oder Wohnorte aus den Augen verloren oder gar noch nie erkundet. Schade um Naturwunder wie die Sächsische Schweiz, den Darß, die Brandenburger Seen, das Allgäu und und und…
„Natürlich spielen auch die Mobilität vor Ort, Aktivität und Unterbringung eine Rolle für die CO2-Bilanz – im Vergleich zur Anreise aber eine recht kleine“, sagt Experte Günther. Mit einem schnellen inspirierenden Blick auf Portale wie Radweg-Reisen, BioHotels und Co. oder ein paar Tipps von Papa oder Oma können wir also schon vieles besser machen. „Und vor Ort dann noch die Betriebe auf Aspekte wie Nachhaltigkeit und Regionalität ansprechen, damit diese merken, dass Urlauber*innen das Thema zunehmend wichtig ist“, so Günther. Wird gemacht!
Modisch umdenken
„In der Mode ist Regionalität ein Faktor, der fast komplett verloren gegangen ist“, sagt Fachbuch-Autorin und Fair Fashion-Aktivistin Jana Braumüller im Energievoll-Gespräch. „Die Lieferketten sind extrem weitläufig, sehr global und kleinteilig geworden“, so die Mitbegründerin der Netzwerk-Plattform Fashion Changers. Bis zu 150 verschiedene Schritte brauche es heute, bis ein Kleidungsstück fertig ist. „Die wenigsten davon passieren regional.“ War es früher noch gängig heimische Pflanzen wie Hanf oder Flachs anzubauen und daraus vor Ort Garne zu spinnen, werden Materialien wie Baumwolle und Co. heute aus „aller Herren Länder geholt“, sagt Braumüller. „Eine wirkliche Herstellungsindustrie gibt es in Deutschland leider nicht mehr.“
Kleiner Lichtblick: „Zum Glück gibt es gerade in der Fair Fashion-Szene aktuell sehr viele Designer*innen, die wissen wollen was regional wieder möglich wäre“, weiß Braumüller. „Der Wunsch den Textilstandort Deutschland wiederzubeleben wächst. Das hat neben den Umweltaspekten nicht zuletzt auch damit zu tun, dass Menschenrechte in den langen Lieferketten oftmals nicht geachtet werden und deren Einhaltung weit schwerer zu überprüfen ist, als es in regionalen Produktionsstätten der Fall wäre.“
Und nun, was tun? Lokale Designer*innen unterstützen, die schon jetzt hiesige Fasern verwenden oder innovative Ideen wie beispielsweise die „Chiengora“, also Hundewolle, des jungen Labels Modus Intarsia unterstützen. Oder Regionalität auf Gebrauchtes umcodieren und auf dem nächsten Flohmarkt oder in kleinen lokalen Secondhand-Läden shoppen.
Der neue Blick über den Tellerrand
Wir sehen: Es geht einiges! Und gleichzeitig gibt’s in Sachen Regionalität auch noch jede Menge Luft nach oben – frische Luft, die wir in vollen Zügen einsaugen wollen. Die vergangenen Jahrzehnte haben sichtbare Spuren hinterlassen. Gewächshäuser an spanischen Küsten soweit das Auge reicht, kilometerlange Überlandleitungen, Horden von Touristen an einst einsamen Secret Spots und das Ende der heimischen Textilproduktion. Zeit, endlich wegzukommen von den ausgelatschten Trampelpfaden der Masse und endlich neue Wege zu gehen. Und wenn’s nur nach nebenan ist! Der neue Blick über den Tellerrand muss nicht weit schweifen, sondern darf glücklich gleich eingefangen werden: von den Wundern der eigenen Umgebung.
© Bilder von Marcus Werner / viertel-vor.com