Was für uns schon lange Alltag ist, brach für viele andere zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns herein, wie eine übergroße Welle der Herausforderungen. Aufspringen, drauf bleiben, Surfen lernen. Und am Ende möglichst easy durchgleiten: durch die Zeit im Homeoffice. Eine Art der Arbeit, die in Deutschland zuvor erst von rund 30 Prozent der mittelständischen und 39 Prozent aller Unternehmen angeboten wurde. What a ride!
Schließlich waren die neuen Umstände in Kombination mit Homeschooling (bei Familien) und ohne direkte Kontakte (bei Singles) zuletzt oft mehr als widrig. Gleichzeitig haben uns nicht zuletzt Lockdown und Lockdown-Light einmal mehr daran erinnert, was Digitalisierung möglich macht, wie wir die Umstände unserer Zeit in Bezug auf unsere Arbeit zum eigenen Vorteil nutzen können – und dass wir dabei auch einen ganzheitlichen Blick auf Nachhaltigkeit in der Wirtschaft werfen können und sollten.
Jetzt wäre es natürlich schön, wenn wir von uns selbst sagen könnten, wir hätten uns aus Umwelt- oder Klimaschutzgründen selbstständig gemacht. Spoiler: Is’ nicht so. Selbst sind wir beide einfach reingerutscht in die Mischung aus Homeoffice und digitalem Nomadentum. Weil sich Freelancen eben anbietet, als Regisseur und Journalistin. Weil wir irgendwann unser eigenes Projekt Viertel \ Vor etablieren wollten. Und weil wir dann aber auch immer wieder ganz bewusst die Entscheidung für mobiles und flexibles Arbeiten getroffen haben. Unbewusst inspiriert von denen, die bis zu 20 Jahren jünger sind als wir: von den so genannten Millennials, die um die Jahrtausendwende geboren wurden.
„Seit die Generationen Y und Z den Arbeitsmarkt aktiv mitgestalten, findet ein deutlicher Wertewandel statt“, erklärt Anna Volquardsen, Expertin für Neue Arbeit und Unternehmensberaterin bei Dear Work. „Denn diese Generationen sind die ersten, die die alte Arbeitswelt aktiv hinterfragt. Sie fragt nach flacheren Hierarchien, mehr Eigenverantwortung und einem Job, der zu den eigenen Fähigkeiten und auch zur eigenen Persönlichkeit passt.“ Dadurch habe sich laut Volquardsen auch allgemein der Wunsch nach flexiblen und bedürfnisorientierten Tätigkeiten verstärkt. „Das liegt auch an der Pluralisierung von Lebensentwürfen. Unterschiedliche Alltagsmodelle erfordern natürlich auch unterschiedliche Arbeitsmodelle.“Den Erfahrungen der Expertin nach wollen auch viele Unternehmen den veränderten Bedürfnissen entsprechen – oder müssen es sogar. „In den letzten Jahren hatten wir in Deutschland einen so genannten Arbeitnehmer*innenmarkt, auf dem Fachkräfte ihre Wünsche artikulieren durften.“ Und auf dem die Arbeitgeber*innen entsprechend reagieren. Vor allem mit flexibleren Arbeitszeiten. Und gleichzeitig, auch ohne Corona, wohl zunehmend mit flexibleren Arbeitsplätzen.
Dabei werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Denn wer öfter zuhause bleibt, der verursacht schon allein durch das Wegfallen des Arbeitswegs weniger CO2-Emission. Klingt erstmal marginal? Ist es aber nicht. Denn wie so oft macht die Menge das Gift: So verlassen an einem regulären Arbeitstag ohne Pandemie aktuell noch 85 Prozent der Deutschen ihre Haus oder die Wohnung und legen insgesamt über drei Milliarden Kilometer zurück. Das entspricht einer 80.000-fache Umrundung des Äquators. Laut einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Erhebung des Berliner Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung würde der CO2-Ausstoß im Verkehr um 5,4 Millionen Tonnen pro Jahr sinken, wenn 40 Prozent der Arbeitnehmer dauerhaft an zwei Tagen pro Woche von zu Hause aus arbeiten. Das entspreche 18 Prozent aller durch Pendeln entstehenden Emissionen. Dienstreisen nicht mit eingerechnet.Überhaupt ist jede*r von uns jeden Tag etwa 40 Kilometer weit unterwegs. Viele arbeiten nicht da, wo sie wohnen, kaufen nicht da ein, wo sie die Kinder in die KiTa bringen, gestalten ihre Freizeit nicht da, wo die Verwandten leben. Vielleicht wohnen wir sesshaft – leben tun wir schon lange multilokal. So scheint es fast logisch, dass wir unseren Job auch unterwegs oft dabeihaben. Teilweise ganz unbewusst.
„Die Digitalisierung und Konnektivität hat die Wirtschaft extrem beschleunigt. Reaktionen werden allgemein in Echtzeit erwartet“, erklärt New Work-Fachfrau Volquardsen. „Diese Tatsache befeuert das mobile Arbeiten.“ Von Vorteil, bedenkt man die vielen individuelle Möglichkeiten, sogar Umzüge ins Ausland können heute ohne Jobwechsel möglich sein. Und von Nachteil, wenn’s zu viel wird und in Richtung Selbstausbeutung geht. Ist die Arbeit immer dabei, fällt es – auch uns – oft schwer, selbst das richtige Maß zu finden.
„Nachhaltigkeit bezieht sich im Bereich Arbeit nicht zuletzt – wenn man so sagen will – auf die Ressource Mensch“, so Volquardsen. Nachhaltig Arbeiten hieße ergo auch, schonend mit den eigenen Kapazitäten umzugehen, Abgrenzung zu lernen. Ein Prozess, der aktuell parallel läuft zu den fluiden Anpassungsmöglichkeiten in der Work-Life-Balance.
Und glücklicherweise außerdem ein Prozess, der von Arbeitgeber*innen zunehmend unterstützt wird. „Die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, verspüren einen Druck und haben auch den Willen, Nachhaltigkeit auf mehreren Ebenen in ihr Wirken zu integrieren“, sagt Volquardsen. Der entsprechende Druck käme vor allem von den Arbeitnehmer*innen, die nicht nur vermehrt für sich selbst einstehen, sondern auch ausdrücklich wollen, dass Arbeitsprozesse und Geschäftstätigkeiten langfristig gedacht werden, alle entsprechend miteinander umgehen und auf Umweltschutz achten.
Neben ethischen Fragen, Herstellungsprozessen, Auswahl von Arbeitsmaterial und Essen in der Kantine kann außerdem mitgerechnet werden, dass auch alle Online-Aktivitäten einen immensen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Laut einer Studie der französischen Denkfabrik „The Shift Project“ erzeugen Online-Videos 300 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Das ist etwa ein Prozent der globalen Gesamtemissionen. Eine einfache E-Mail kann bis zu vier Gramm CO2-Äquivalente verursacht, mit Anhang steigt der Ausstoß laut dem britischen Umweltforscher Mike Berners-Lee auf rund 50 Gramm.
Erfahre mehr zur CO2-Belastung durch das Internet in unserem Blogbeitrag: Klimakiller Internet: So verbesserst Du Deinen ökologischen Fußabdruck.
Puh! Ein Grund für neue Digital-Disziplin? Vielleicht. Und vielleicht ist das ja auch mal ganz gut für uns alle. Fakt ist, dass der Diskurs über neue, mobilere Arbeit den Status Quo in Frage stellt. Und das kann angesichts erschöpfter Arbeitnehmer*innen und Ressourcen aktuell unserer Meinung nach nur gut sein.